Kochen für Angeber

Cool cooking for passionated posers

Molekularküche – Was heißt das eigentlich?

Was bedeutet eigentlich Molekularküche und molekulares Kochen? Darüber streiten sich sogar die Gelehrten. Aber das ist auch kein Wunder, denn bei genauem Hinsehen, findet Molekularküche eigentlich jeden Tag in jedem Haushalt statt.
Molekularkaviar

Was bedeutet eigentlich Molekularküche und molekulares "Kochen"?

Molekularküche ist im Grunde nichts Außergewöhnliches und keineswegs etwas Neues, denn sie findet tatsächlich jeden Tag statt – auch in deinem Haushalt. Bereits das Kochen von Wasser ist ein molekularer Prozess. Die Molekularküche befasst sich, nach offizieller Definition, mit den biochemischen und physikalisch-chemischen Prozessen bei der Zubereitung von Lebensmitteln. Diese Prozesse treten grundsätzlich immer auf, sobald du irgendetwas mit einem Lebensmittel anstellst (außer es lediglich zu betrachten). Du warst also schon immer ein Spitzen-Molekularkoch!

Was der Koch oder der Wissenschaftler meint, wenn er von Molekularküche spricht, lässt sich vielleicht besser mit dem Ausnutzen der inzwischen gewonnenen, höchst präzisen wissenschaftlichen Erkenntnissen biochemischer, physikalischer und chemischer Prozesse bei der Zubereitung von Lebensmitteln umschreiben.  Dadurch, dass man genau weiß, was da so alles passiert und welche Substanzen in den Lebensmitteln dafür verantwortlich sind, kann man dieses Wissen aktiv umsetzen und einsetzen, um ganz neue Anwendungen oder Zubereitungsmethoden, mit teilweise spektakulären Ergebnissen zu entwickeln. Molekulare Gastronomie verbindet also Physik und Chemie, um den Geschmack und die Beschaffenheit von Lebensmitteln zu verändern.

Aber auch das machen wir schon lange Zeit. Wir verwenden ständig Hilfsmittel, Texturen und Stoffe aus der Lebensmittelindustrie. Wenn wir sie beim Kochen einsetzen, verändern wir damit die Form, Struktur, Textur und eventuell auch die Farbe von Lebensmitteln. Klassische Beispiele dafür findest du weiter unten.

Was Molekularküche sicher nicht ist

Vielleicht denkst du, wenn du an Molekularküche denkst, an ein Chemielabor mit bunt gefüllten Reagenzgläsern und an künstlich erzeugte chemische Substanzen.  Aber das hat sicher nichts mit Molekularküche zu tun! Im Gegenteil: “Die molekular inspirierte Küche nutzt eine Vielzahl von natürlichen Grundprodukten, darunter auch Texturgeber, die als vielseitige und vegetarische Alternativen zu Gelatine eingesetzt werden.” (Quelle: Wikipedia).

Ein Experiment

Um zu verdeutlichen, wie Molekularküche im Alltag funktioniert und vielleicht auch um dir die Angst davor zu nehmen, habe ich ein ganz einfaches Küchenexperiment gemacht, dass du selbst ganz leicht nachmachen kannst (vielleicht wenn du das nächste Mal einen Salat zubereitest?).

Ich habe zwei Salat-Grundsoßen zubereitet. Mischungsverhältnis 1:3, in diesem Fall konkret jeweils 2 EL Essig und 6 EL Öl, so wie in meinem Basic-Rezept für Salatsoße beschrieben. Zu der einen Essig-Öl-Mischung habe ich zusätzlich einen TL Senf gegeben. Man sieht den Unterschied an der leicht gelblichen Farbe der Mischung mit dem Senf und der etwas höheren Füllmenge durch das Volumen des Senfs. Wie zu erkennen ist, wurde durch das Vermischen aus dem richtigen Verhältnis von klarem Essig und klarem Öl in beiden Fällen eine milchige Emulsion. Die beiden Stoffe haben sich also vermischt.

Schau dir an was passiert:

So sehen die Essig-Öl-Gemische direkt nach dem mixen aus…

Molekularküche Salatsoße

…und so eine halbe Stunde später:

Molekularküche Salatsoße

Wie du siehst, hat sich die einfache Essig-Öl-Mischung nach einer halben Stunde fast wieder ganz getrennt, wohingegen die mit dem Senf darin immer noch wie eine Eins steht. Wahrscheinlich geht das sogar noch viel schneller, wenn du mit dem Schneebesen arbeitest. Ich habe einen Stabmixer verwendet, was für dieses Experiment natürlich ein wenig kontraproduktiv war.

Wie kommt das?

Der Senf wirkt als so genannter Emulgator. Das ist ein Hilfsstoff, der dazu dient, zwei eigentlich nicht miteinander mischbare Flüssigkeiten, zu einem fein verteilten Gemisch, der sogenannten Emulsion, zu vermengen und zu stabilisieren.  Das kann der Senf, weil Schalenbestandteile der Senfsaat im Senf an den Grenzflächen zwischen Essig- und Ölmolekülen stabilisierend wirken. Das nennt sich auch Partikelemulsionen. É voilâ: Molekularküche!

portion of homemade mayonnaise, decorated with herb

Ein weiterer, noch viel besserer Emulgator ist das Eigelb. Wie man inzwischen weiß, liegt das vor allem an dem darin enthaltenen Stoff Lecithin. Lecitin ist wirklich ein hervorragender Emulgator. Eine klassische Anwendung für das ‘Eigelblecithin’ ist Mayonnaise. Aus einem einzigen Eigelb lassen sich sage und schreibe bis zu 24 Liter(!) Mayonnaise herstellen (man muss dann nur 2-3 TL Wasser hinzu geben weil das Ei dafür zu wenig Wasser enthält). Wenn das mal keine Molekularküche ist!

Aber jetzt kommt das, was die sogenannte Molekularküche eigentlich ausmacht:

Da man nun weiß, dass das Lecithin im Ei hauptsächlich dafür verantwortlich ist, dass aus Ei und Öl eine pastöse Masse wird, könnte man jetzt ja überlegen, ob es auch andere Lebensmittel gibt, die viel Lecithin enthalten und mit denen man dann, so die Theorie, eine Mayonnaise herstellen kann. Vielleicht für Menschen, die das rohe Ei stört? Oder sogar für Veganer? Und du wirst staunen: Beides geht und das können sogar du und ich. Mit Zutaten, die es in jedem Lebensmittelgeschäft zu kaufen gibt. Der Klassiker schlechthin und ein guter Ersatz in der Mayonnaise ist z.B. Milch.

Siehe: Mayonnaise ohne Ei

Noch mehr Physik in der Küche

Übrigens: Beim Emulgieren von Ei und Öl zu Mayonnaise passiert noch etwas viel Seltsameres: Die Paste, die entsteht, ist bis zu 1000-fach zähflüssiger als die beiden Hauptkomponenten Öl und Ei – ein Phänomen, das übrigens bis heute noch nicht vollständig geklärt ist.

Also doch Erinnerungen an das Chemielabor?

Selbstverständlich ist der nächste logische Schritt zu versuchen den für den Vorgang verantwortlichen Stoff, in unserem Fall also das Lecithin, zu extrahieren und unabhängig von der ‘Gefangenschaft’ in Lebensmitteln zur Verfügung zu stellen. So entsteht dann z.B. Lecithin in Pulverform. Was dann doch irgendwie wieder an das gute alte Chemielabor aus dem Schulunterricht erinnert.

Weitere Beispiele aus der Alltagsküche

Die Molekularküche arbeitet auch oft mit Gelen. Ein Gel eignet sich hervorragend, um den Geschmack eines Produktes in eine unerwartete Verpackung zu stecken. Willst du also z.B. den Geschmack von Staudensellerie auf einem Teller ohne das eigentliche Lebensmittel zu verwenden, kannst du ihn entsaften und den Saft mit Agar Agar oder Gelatine zu einem Gelee werden lassen.

Dieses kannst du entweder würfeln oder mit etwas ausstechen und so auf dem Teller platzieren oder wieder mit einem Mixer aufmischen, was ihm eine Mayonnaiseartige Konsistenz verleit, um es dann mithilfe einer Quetschflasche oder eines Spritzbeutels als Tupfen auf den Teller zu geben.

Du hast dem Staudensellerie damit eine völlig neue Textur, Form und Farbe geben (du könntest den Saft sogar mit natürlichen Lebensmittelfarben anders einfärben und damit dein Publikum vollends verwirren).

Aber kommt dir das nicht irgendwie bekannt vor? Sicher! Denk doch mal an den guten alten Wackelpudding. Da kommt doch glatt ein Kraut wie Waldmeister als durchsichtige und wackelige Masse daher. Molekularküche in Vollendung. Wer hätte das gedacht?

…und deren Umsetzung in der Molekularküche

In der Molekularküche arbeiten Köche ebenfalls gerne mit Gels und Geliertem (wie unserem Wackelpudding von oben). Klassiker sind hier mit Agar Agar, Gelan oder Gelatine gebundene Flüssigkeiten, die beispielsweise als dünner Film (siehe auch Rezept von Sternekoch Alexander Kunz unter Beispielrezepte) etwas umschließen oder einen Teppich bilden oder nach dem gelieren noch einmal fein gemixt als Gel-Tupfer auf dem Teller platziert werden.

Und noch weitere Beispiele aus unserem Kochalltag

  • Karamellisieren: Das Erhitzen von Zucker, um Karamell zu erzeugen, ist ein komplexer chemischer Prozess, bei dem Zucker in verschiedene aromatische Verbindungen umgewandelt wird.

  • Backen von Brot: Die Hefe fermentiert den Zucker und produziert Kohlendioxid, das den Teig aufgehen lässt. Auch die Maillard-Reaktion, bei der Aminosäuren und Zucker reagieren, führt zu der braunen Kruste und dem typischen Brotgeschmack.

  • Gelieren von Pudding: Beim Kochen von Pudding mit Stärke verdickt diese durch die Bildung eines Netzwerkes, das Wasser einschließt und so die gewünschte Konsistenz erzeugt.

  • Schaumbildung bei Eiweiß: Das Schlagen von Eiweiß führt dazu, dass Proteine denaturieren und Luftbläschen einschließen, was zu einer stabilen Schaumstruktur führt.

  • Kochen von Eiern: Das Erhitzen denaturiert die Proteine im Eiweiß und Eigelb, wodurch sie ihre Struktur verändern und fest werden.

  • Sous-Vide-Garen: Das langsame Garen von Lebensmitteln bei niedriger, präzise kontrollierter Temperatur führt zu einer gleichmäßigen Garung und einer zarten Textur, da die Proteine sanft denaturiert werden.

  • Säuern von Milch für Käse: Durch die Zugabe von Säure oder Lab werden die Proteine in der Milch zum Gerinnen gebracht, was der erste Schritt bei der Käseherstellung ist.

  • Fermentation: Bei der Herstellung von Joghurt oder Sauerkraut wandeln Bakterien Zucker in Milchsäure um, was zur Verdickung und dem charakteristischen Geschmack führt.

  • Pökeln von Fleisch: Durch das Einlegen von Fleisch in eine Salzlösung werden Proteine denaturiert und Wasser entzogen, was das Fleisch haltbarer macht und seinen Geschmack verändert.

Diese Beispiele verdeutlichen, wie vielfältig die molekularen Prozesse sind, die bei alltäglichen Kochvorgängen ablaufen.

Ist Molekularküche nur ein vorübergehender Trend?

Die sogenannte Molekularküche wird uns sicher erhalten bleiben. Warum? Weil sie, wie ganz oben schon geschrieben, einfach schon immer in irgendeiner Form ‘heimlich’ zu unserer Art Lebensmittel zuzubereiten gehört hat. Solange wir also nicht aufhören Eier zu kochen und Pudding zu essen, werden uns molekulare Kochtechniken in der Küche begleiten. 

Allerdings ist es ja nicht das, was wir meinen, wenn wir über die moderne Molekularküche sprechen, wie sie vom Mitbegründer Ferran Adrià Acosta begründet wurde. Seine besondere Leistung liegt darin, die wissenschaftlichen Prinzipien bewusst und kreativ in die Spitzengastronomie eingeführt und weiterentwickelt zu haben. Er und andere Köche wie Heston Blumenthal haben diese Techniken populär gemacht und sie genutzt, um neue kulinarische Erlebnisse zu schaffen, die weit über die traditionellen Methoden hinausgehen.

In diesem Sinne hat Ferran Adrià Acosta tatsächlich eine neue Ära in der Kochkunst eingeläutet, indem er wissenschaftliche Erkenntnisse und innovative Techniken in die Gastronomie integriert hat. Seine Arbeit hat die Art und Weise, wie wir über Essen und Kochen denken, revolutioniert und viele moderne Köche inspiriert.

Durchaus vorstellbar ist, dass sich das, was uns heute als spektakuläre molekulare Technik präsentiert wird, immer mehr in die Alltagsküche einschleicht und irgendwann gar nicht mehr wirklich als eigenständiger Trend wahrgenommen wird. Das passiert ja auch tatsächlich schon. Denke doch beispielsweise einmal an das Stichwort “Espuma” (spanisch für Schaum). Auch diese Idee kommt vom oben schon erwähnten spanischen Erfinder und Sternekoch Ferran Adrià Acosta. Er übertrug die Idee der Schaumerzeugung in seiner Molekularküche (deren Mitbegründer er übrigens war) auf alle möglichen Lebensmittel. Heute nennt jeder dritte Hobbykoch einen Siphon sein Eigen, mit dem er Schäume (oder ‘Espumas’ und ‘Air’s’) erzeugt, ohne sich überhaupt Gedanken über Molekularküche zu machen!

 

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